Mit Lebenszyklus (oder Lebensweise) ist das gemeint, was die angelsächsischen wissenschaftlichen Literatur als life history bzw. life history theory (LHT) bezeichnet: die physiologischen Prozesse (Ernährung, Wachstum, Reifung) und die für die Reproduktion nötigen Aktivitäten: Partnersuche, Werbung, Begattung, Geburt und Pflege des Nachwuchses etc.
Die Lebensdauer der erwachsenen, reproduktionsfähigen Fliegen (Imagines) beträgt oft nur wenige Wochen oder gar nur Tage, in Mitteleuropa ganz überwiegend von April bis Oktober; die längste Lebensspanne nimmt – ähnlich anderen Insekten-Ordnungen – die Larvalphase ein, die in den unterschiedlichsten Lebensräumen und auf unterschiedlichen Substraten stattfindet. Die Reproduktionszyklen können sehr kurz sein, Schmeißfliegen (Calliphoridae) etwa benötigen für ihre Entwicklung vom Ei zur Imago je nach Temperatur und Witterung nur 5–14 Tage und können daher vier bis acht Generationen im Jahr hervorbringen – sie sind polyvoltin; andere, vermutlich die meisten Arten zeigen einen nur einjährlichen Generationswechsel – sie sind univoltin. Den Winter können heimische Fliegenarten allerdings nicht nur im Larven- und Puppenstadium, sondern in geschützter Umgebung auch als Imagines überstehen.
Fliegen sind sehr vermehrungsfreudig, und das hat seinen Grund: Wenn ein Weibchen mit einem "Schub" z. B. 100 Eier ablegte und alle geschlüpften Larven sich zu 100 Puppen entwickelten, aus den 100 Fliegen-Imagines schlüpften, dann läßt sich leicht ausrechnen, wie viele Fliegen der zweiten Generation unterwegs wären: 100 × 100 = 10.000. Die dritte Generation würde dann bereits eine Million umfassen ... Ein solch exponentielles Wachstum ist allerdings nur in der mathematischen Theorie möglich, in der Praxis bzw. Natur wird es durch vielerlei Faktoren gebremst: neben abiotischen Faktoren ("Wind & Wetter") vor allem durch zahlreiche Prädatoren und Parasiten, deren Nahrungsgrundlage die Fliegen sind. Ihr Überleben sichern Fliegen also vor allem durch Masse, Brutfürsorge ist selten und am ehesten unter parasitischen Arten zu finden.
Auch eine große Nachkommenzahl selbst hängt allerdings von einer Bedingung ab: dem richtigen, d. h. artspezifischen Ablageort bzw. Substrat. Wie Fliegen z. B. Kadaver oder Jauche finden, kann auch die menschliche Nase problemlos ermitteln, andere Geruchsbouquets bleiben dem Menschen eher verborgen, sind aber für Fliegen kein Problem. Ein Problem sind jedoch Wirte, die aufgrund ihrer Mobilität und vielleicht auch Seltenheit schwer erreichbar sind. Manche parasitische Arten sind deshalb larvivipar: Ihre Larven schlüpfen bereits im Uterus und werden dort in ihrem ersten von drei Stadien so lange vorgehalten, bis das Weibchen einen geeigneten Wirt gefunden hat und dann nicht Eier, sondern Larven legt. Ein Beispiel aus der Familie der Fleischfliegen (Sarcophagidae) ist Metopia argyrocephala, eine Kuckucksfliege, die Grab- und Wegwespen (Sphecidae, Pompilidae), aber auch Solitärbienen parasitiert.
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| Die "Satellitenfliege" Metopia argyrocephala |
Da die kurze, letzte Lebensphase einer Fliege eigentlich nur der Fortpflanzung dient, zehren einige Arten in ihrer Imaginalphase von der Substanz ihrer Larvalstadien und nehmen nur noch Wasser auf. Die Imagines der meisten Arten aber ernähren sich von allen organischen Substanzen, die sie mittels der Geruchssinnesorgane in ihren Tarsen wahrnehmen:
Die Larven einiger Fliegenarten – z. B. viele Bohrfliegenarten (Tephritidae) – fressen auch Kulturpflanzen, gelten dem Menschen also als Schädlinge. Schädlich für den Menschen werden aber vor allem die Imagines solcher Arten (insbesondere Schmeißfliegen), die auf menschliche Nahrungsmittel – vor allem Fleisch, Fisch und Milchprodukte – pathogene Keime übertragen, die gefährliche bzw. tödliche Krankheiten auslösen können.
Aus medizinischer Sicht gelten Fliegen meist als problematisch: Viele Schmeißfliegenarten (Calliphoridae) übertragen Keime, die Nahrungsmittel verderben und beim Menschen ja nach Kontaktort Darmerkrankungen (Typhus & Paratyphus, Ruhr bzw. Dysenterien, Durchfall bzw. Sommerdiarrhoe, Cholera), eine Blutvergiftung (Sepsis) oder eine Infektion durch Fliegenbefall (Wundmyiasis) hervorrufen können. Das trifft auch auf die Gattung der Goldfliegen (Lucilia spec.) zu. Die Goldfliege Lucilia sericata allerdings hat ein "zweites Gesicht": Da sich ihre Maden selektiv von abgestorbenem Gewebe ernähren, wurden sie – vor allem vor der Entdeckung des Penicillins – bei Patienten mit gestörter Wundheilung therapeutisch eingesetzt, um chronisch offene Wunden von nekrotischem Gewebe und Bakterienbefall zu befreien. In Fällen einer Antibiotika-Resistenz wird diese Methode auch heute noch bzw. wieder mit Erfolg angewandt: Im Labor gezüchtete keimfreie Maden werden dabei in Gaze eingeschlossen auf eine Wunde gelegt und, sobald sich ihr Gewicht vervielfacht hat, vernichtet.
Ein ganz anderer Einsatz von Fliegen ist seit langem in der Gerichtsmedizin etabliert, die Krimifreunde auch unter der Fachbezeichnung (entomologische) Forensik kennen – abgeleitet vom Forum, auf dem in der Antike öffentlich Untersuchungen, Gerichtsverfahren etc. stattfanden. Da verschiedene Schmeißfliegenarten artspezifisch von verschiedenen die Verwesungsgrade anzeigenden Geruchsstoffen und deren Konzentrationen bzw. Mischungsverhältnissen angelockt werden, treffen sie zu unterschiedlichen Zeitpunkten an verwesenden Leichen ein und legen ihre Eier ab. Die Entwicklungsstadien der Maden ermöglichen so die spätere Bestimmung des Todeszeitpunktes eines Menschen. Beeinflußt wird das Wachstum der Maden allerdings auch von der Tag- und Nachttemperatur, der Sonneneinstrahlung, von Luftfeuchtigkeit und Niederschlägen und vom Fundort. Seit einigen Jahren müssen Forensiker in ihre Berechnungen auch die fortschreitende Klimaerwärmung einbeziehen, die sich nicht nur auf Verwesungsprozesse, sondern auch auf Artenspektrum und Häufigkeit der Fliegen auswirkt.
Der Klimawandel wie auch der weltweite Verkehr und Handel ("Globalisierung") verursacht bekanntlich auch eine Zunahme der Neobionten (Neobiota), also eingeschleppter Pflanzen (Neophyten), Pilze (Neomyceten) und Tiere (Neozoen). Unter letzteren findet sich eine Schmeißfliegen-Art (Calliphoride) namens Chrysomya albiceps, die sich wohl von Afrika aus über Südeuropa und Asien und seit den 1970er Jahren auch in Mittel-und Südamerika verbreitet hat. Teilweise wird diese Art mit Chrysomya rufifacies synonymisiert wird, die aus Australien stammt und zu den forensisch wichtigsten Fliegenarten zählt.
Chrysomya albiceps (die 'weißgesichige') wurde zuerst 2012 von zwei Biologen des Bayerischen Landesriminalamtes im Botanischen Garten in München entdeckt, bevor sie sich deutschlandweit ausbreitete. Das forensische Problem: Wie andere Schmeißfliegen ernährt sie sich in ihrem ersten Larvalstadium von Kadaverflüsspgkeiten; im zweiten und dritten (= letzten) Stadium jedoch wird sie – übrigens wie ihre australische Gattunggenossin – räuberisch: Sie erbeutet die Maden anderer Fliegen, also auch solcher, die der Forensik als Indikatoren (Beweismittel) des Todeszeitpunktes und der portmortalen Liegezeit dienen. Hinzu kommen höhere Temperaturansprüche des Neozoons, die das Problem einerseits komplexer machen, andererseits im Einzelfall (bei niedrigen Außentemperaturen) ein hilfreicher Indikator sein können.
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