Systematik, Taxonomie, Klassifikation ↔ Nomenklatur

In biologischen Monographien, Bestimmungsbüchern, Feldführern etc. und ebenso im Internet stoßen Leser immer wieder auf Fach-Termini, die sich auf die Verwandtschaften und Benennung von Tier- und Pflanzenarten beziehen: Nomenklatur, Klassifikation, System und Systematik, Taxonomie und Taxon etc.
    Leser, die sich mit einem biologischen Thema befassen, stellen zudem immer wieder und in den letzten Jahren vermehrt fest, daß vertraute wissenschaftlichen Gattungs- und Artnamen geändert wurden und sich wohlbekannte Arten plötzlich in einer anderen Gattung, mithin unter einem anderen Gattungsnamen und an anderer Stelle im Alphabet wiederfinden – etwa die Blaumeise: ParusCyanistes oder der Dieselfalter: Cynthia carduiPyrameis carduiVanessa cardui. Einige Arten "müssen" offenbar alle paar Jahre in eine andere bzw. neue Gattung umziehen, andere haben sogar ihren eigentlichen Artnamen (den zweiten Teil ihres Binomens) eingebüßt. Wenn dies überhaupt kommentiert wird, liest man dann lapidare "Erklärungen" wie: "Phylogenetische Arbeiten erbrachten eine Unterteilung in mehrere neue Gattungen."
Wie kommt es dazu? Dem Laien sich solche Praktiken mit Recht suspekt und ein Ärgernis: Bescheren uns unnötige Neologoismen und Anglizismen im Alltag nicht genug Verdruß, etwa im Bürokratie-Deutsch (Sprachmonster wie ... mit Migrationshintergrund etc.), im Computer-Fachvokabular (Account, Build, Mainboard) & Netzjargon bzw. Internet-Slang (Geek, Nerd, AAMOF, LOL etc.), in der Kleidermode (Cropped-Look, Loungewear, Tapered Fit etc.) oder der Jugendsprache (easy, nice, slay, woke etc.)?
Das Thema der Klassifizierung und Benennung von Tier- und Pflanzenarten wird hier kritisch "unter die Lupe" genommen, und dies gleich mit zwei "kritischen Augen": einem naturwissenschaftlichen und einem psychologisch-sprachwissenschaftlichen. Die Vorgehensweise ist chronologisch, beginnt also mit der Linguistik:

1. Dinge und Wörter – Lebewesen und ihre Bezeichnungen

Wenn sich Menschen über sich (sich selbst und einander) und ihre Umwelt austauschen, tun sie dies mit Zeichen, die etwas bezeichnen: unbelebte wie belebte und abstrakte Dinge. In aller Regel sind dies – neben willkürlichen, weil nur auf Konventionen beruhenden Symbolen – sprachliche Zeichen, nämlich gesprochene oder geschriebene Wörter. Mit der Beziehung zwischen bezeichnenden Wörtern und den bezeichneten Objekten befaßt sich ein Gebiet der Sprachwissenschaft, das auch vielen Laien bekannt ist: die Semantik ('Bedeutungslehre'). Dabei sind zwei Fragestellungen möglich, aus denen sich zwei Disziplinen ergeben:

  • Die Semasiologie geht vom Zeichen bzw. Wort aus und erforscht, was ein bestimmtes Wort bedeutet.
  • Die Onomasiologie geht umgekehrt von konkreten und abstrakten Objekten aus und beschreibt, mit welchen sprachlichen Mitteln diese bezeichnet werden. In unserem Fall geht es um Tierarten, Pflanzen- und Pilzarten: wie werden diese umgangssprachlich und wissenschaftlich bezeichnet und aus welchen – plausiblen, vorgeblichen oder wirklichen etc. – Notwendigkeiten und Motiven? Das grundsätzliche Motiv einer Artbezeichnung ist natürlich der Ursprung der menschlichen Sprache schlechthin: das Bedürfnis, mit anderen Menschen über etwas zu kommunizieren. Geweckt wird das Bedürfnis einer Artbezeichnung allerdings erst, wenn ein Tier als Art erkannt wurde, wenn sich der Mensch einen Begriff von einer Art macht. (Artnamen sind bekanntlich keine Eigennamen konkreter einzelner Individuen, sondern abstrakte Gruppenbezeichnungen für Begriffe.)

2. Kategorisierung – Taxonomie – Klassifizierung

Wie also wird eine Art erkannt – wie lernt der Mensch, eine Art von anderen Arten zu unterscheiden? Was manchem Laien oder auch Genetiker banal oder selbstverständlich erscheinen mag, ist tatsächlich ein komplexer Prozeß, dem man am ehesten mit einem Begriff auf die Spur kommt, den z. B. Biologieprofessoren auf Exkursionen verwenden: dem Habitus. Gemeint ist damit die unmittelbar wahrnehmbare äußere Erscheinung eines Organismus (auch Menschen), d. h. die Gesamtheit aller seiner typischen sichtbaren Merkmale (einschließlich der Körperproportionen und des Verhaltens) sowie Abhängigkeiten von bekannten Parametern (Umweltbedingungen wie Licht, Temperatur, Boden etc.). Nicht selten läßt sich "nach Habitus" nicht nur die jeweilige Familie und Gattung, sondern sogar die Art bestimmen.
    Wie aber lernt ein Mensch (oder auch ein Tier), ein Objekt von anderen Objekten zu unterscheiden, sich von diesem eine Vorstellung, einen Begriff zu machen und diesen in seinem Gedächtnis abzuspeichern – und schließlich mit einem Wort zu bezeichnen? Dem Geheimnis dieser Fähigkeit kommt man wohl am besten auf die Spur, wenn man sich die frühkindliche Entwicklung anschaut, aber auch die Fähigkeiten unserer nächsten tierischen Verwandten: Affen verwenden ähnliche bzw. ähnlich ausgedehnte Gehirnbereiche für die Erkennung von Gesichtern, Mimik und Blickrichtungen wie Menschen – eine für die Kommunikation mit den Eltern in den ersten Lebenswochen eines Menschen-Säuglings wichtige Kompetenz, die anfänglich auf den Nahbereich beschränkt ist (visuelle Wahrnehmung ist in dieser Phase nur bis ca. 20 cm scharfsichtig).

Wenn sich ein Kind anschließend die Gegebenheiten seiner Umwelt "aneignet" (in der Psychologie: Assimilation) und sich dabei zugleich diesen Gegebenheiten anpaßt (Akkomodation), nimmt es Farben, Kontraste und Muster wahr und beginnt, Wahrgenommenes mit anderen Wahrnehmungen in Beziehung zu setzen – auditive mit visuellen, visuelle mit visuellen etc. – und erkennt und unterscheidet so Unveränderliches und Gleichwertiges. Dabei bleibt es zwar in den ersten Monaten noch hinter gleichaltrigen Menschenaffen zurück, setzt sich dann aber im Zuge seiner Sprachentwicklung deutlich von jenen ab. (Nur in wenigen Disziplinen bleiben ihnen Menschenaffen ebenbürtig; Schimpansen können sich sogar schneller und besser Zahlenreihen merken als erwachsene Menschen.) Bereits als Kind macht ein Mensch das, was auch ein Taxonom tut: Er sortiert, kategorisiert, um sich die Welt zu erschließen.

Menschen (auch Tiere) begreifen ihre Umwelt dank ihrer kognitive Fähigkeit zur Kategorienbildung: Kategorien fassen aus einer unendlichen und chaotischen Vielzahl aktuell oder früher wahrgenommener Objekte und Vorgänge intuitiv Ähnliches zu Sammelbegriffen zusammen. Indem sie unterschiedliche Dinge zunächst als Einheiten begreifen, halten Kinder ihre Umwelt überschaubar: Wenn ein Kind etwa in der elterliches Wohnung einen tierischen Hausgenossen und dazu ein Wort wie Hund (oder Wauwau) kennenlernt, wird es, sobald es sprechen kann, auch alle anderen kleinen bis mittelgroßen beweglichen pelzigen Objekte so ansprechen: Katzen, Meerschweinchen, animierte Stofftiere. Später differenziert es dann in Spielzeuge und lebendige Tiere sowie in unterschiedliche Tierarten, dann auch in unterschiedliche Individuen und Rassen ... und schließlich vielleicht als Biologe in Phänotypen, Unterarten etc. 😉

Die Differenzierung und Sortierung von Tier-, Pflanzen- und Pilzarten nach objektivierbaren, gesetzmäßigen (einheitlichen) Kriterien geht allerdings über eine intuitive Kategorienbildung weit hinaus und wird als biologische Taxonomie bezeichnet; die Einteilung in akzeptierte, aufgrund von Verwandtschaftsbeziehungen definierte "Klassen" entspricht ihrer wissenschaftlichen Klassifizierung bzw. Klassifikation. Der Zweck der Taxonomie & Klassifikation ist die systematische Unterteilung einer zu beschreibenden Organismen-Gruppe, also Schaffung eines Systems dieser Gruppe, die auch mit (dem Oberbegriff) Systematik bezeichnet wird und die verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen den Arten der betreffenden Gruppe einschließt. Alle drei Termini – Taxonomie, Klassifikation, Systematik – liegen begrifflich eng beieinander und werden daher nicht immer deutlich voneinander getrennt. Manchmal wird fälschlich die Nomenklatur mit (insbesondere) der Klassifikation synonymisiert.

3. Kategorien und Definitionen der Art

Was ist eine Art? Diese scheinbar naive Frage beschäftigt Biologen bzw. Taxonomen seit langem und hat mit der Bezeichnung einer Art, dem Artnamen, zunächst nichts zu tun. Manche Taxonomen sehen auch mit der Lebenswirklichkeit (Lebenszyklus bzw. life history) eines Organismus keinen oder nur wenig Zusammenhang, stellen sich dieser Frahge also vor allem theoretisch oder im Gen-Labor. Die in den Auseinandersetzungen um die "richtige" Artdefinition prominentesten Konzepte sind:

  • der morphologische Artbegriff: Er definiert einen Organismus aufgrund charakteristischer Merkmale, mithin seiner – mit der Zeit sich wandelnden – Form und Struktur; als typologischer Artbegriff legt er der Artbestimmung einen (zu gegebener Zeit) konstanten morphologischen Typ zugrunde; Taxonomen legen dafür eine Typusart fest.
  • der biologische Artbegriff: Er definiert eine Art als Fortpflanzungsgemeinschaft, die fruchtbare Nachkommen erzeugt.
  • der phylogenetische Artbegriff: Er versteht eine Art als Produkt ihrer Stammesgeschichte (Phylogenese), welche sich natürlich nicht synchron beobachten läßt, folglich mit einem Blick zurück in Millionen Jahre alte Zeitalter zu rekonstruieren ist. Als Variante postuliert die Kladistik in der Phylogenese sog. Kladen: monophyletische Abstammungsgemeinschaften (Monophyla), die jeweils den letzten gemeinsamen Vorfahren einer Art und alle seine Nachfahren umfasssen und sich graphisch in Kladogrammen darstellen lassen.
  • schließlich der molekulargenetisch begründete Artbegriff, der das Genom (und die Phylogenese) im Gen-Labor erforscht und auch als "Barcoding-Art" bekannt ist. Was nicht wenige Taxonomen schnell als ultima ratio der Artbestimmung begrüßten und bald euphorisch auch als prima ratio (oder gar sola ratio) verstanden, ist in der Praxis problematisch: Räumlich isolierte Populationen können eigene Arten bilden, lange bevor sich das molekulargenetisch nachweisen läßt, und genetische Distanzen kommen auch innerhalb von Arten, d. h. Fortpflanzungsgemeinschaften vor.

Ein Vergleich der Art-Konzepte zeigt einen grundlegenden Unterschied zwischen dem biologischen Konzept und allen anderen:

  • Eine biologische Art existiert nicht subjektiv nach Vermutung oder Erkenntnis eines Menschen bzw. Taxonomen, sondern objektiv, besser noch: absolut, d. h. losgelöst von menschlichen Kriterien, Kategorien, Definitionen: Fortpflanzung und Artbildung finden in der Natur ohne den Menschen statt. Wenn der Mensch aber "außen vor" ist, kann er strenggenommen Arten nicht mehr definieren (= 'begrenzen'), d. h. im Regelfall nicht festlegen, mit welchen Teilpopulationen eine Art endet und eine andere beginnt. Er muß sich also mit der Rolle des Beobachters bescheiden und pragmatisch aus seiner Sicht unscharfe Artgrenzen akzeptieren.
  • Andere Artkonzepte spiegeln menschliche Interessen, Traditionen und wissenschaftlich-technische Fähigkeiten wider und ersetzen quasi die Biologie der Arten durch die "Biologie" des Menschen: seine kulturellen, philosophischen, religiösen, individuellen bis idiosynkratischen Prädispositionen. Der ursprüngliche wissenschaftliche Artbegriff, der morphologische, ist die Fortsetzung der mehr oder weniger intuitiven Kategorie-Bildungen, wie sie jahrhundertelang von mehr oder weniger gebildeten Laien (dann in den jeweiligen Volkssprachen) und schließlich von Naturphilosophen und ersten Wissenschaftlern im modernen Sinne (in Latein) praktiziert wurde.

4. Kategorien und Klassen

Kategorien und Trivialnamen

Die bekannten Trivialnamen belegen die Kategorien, mit denen Menschen ihre belebte Umwelt einst verstanden und verstehen: Als Maus z. B. wurden viele Kleinsäuger bezeichnet, die taxonomisch zu den Nagetieren (Rodentia) gehören, also vor allem Mäuse im weiteren Sinne (Myomorpha) und Hörnchen (Sciuridae), aber auch die zu den Insektenfressern (Insectivora / Eulipotyphla) zählenden Spitzmäuse (Soricidae) und sogar die Fledermäuse (Microchiroptera). Die "Mistbiene" (Eristalis tenax) ähnelt zwar der Honigbiene, ist aber eine Schwebfliege (Familie Syrphidae); der "Franzosenkäfer" ist tatsächlich eine Feuerwanze (Pyrrhocoris apterus) und der "Stinkkäfer" die Marmorierte Baumwanze (Halyomorpha halys), ein Neozoon; das durch seine Streitsucht auffällige Bleßhuhn (Fulica atra) ist kein Wasser-Huhn, sondern eine Ralle. Die Auslöser solcher Kategorisierungen – Ähnlichkeiten in Größe, Färbung und Körperbau – sind nicht schwer zu verstehen und erinnern an die Weise, mit der ein Kleinkind sich die Welt erschließt (siehe ↑). Sind solche Wortbildungen Belege kindischer Unwissenheit oder Naivität?

Sie sind Belege für erfolgreiche Lexikalisierungen, wie der Sprachwissenschaftler sagt: Die Bedeutung eines mehrteiligen oder zusammengesetzten Ausdrucks bzw. Worts kann nicht mehr aus den Bedeutungen seiner Bestandteile erschlossen werden. Ein Pfauenauge ist zwar eigentlich das Sehorgan eines Fasanenvogels, kann aber auch ein Edelfalter sein, was auch auf den Kleinen Fuchs zutrifft, der ja kein kleiner Fuchs ist. Natürlich weiß jeder Erwachsene, daß eine Fledermaus keine 'Maus' ist (und im Französischen eine "chauves-souris" keine 'souris') und beide folglich nicht in dieselbe Tierkategorie gehören – was auch für die Seekuh und Seeschwalbe gelten dürfte, die ja keine Kuh bzw. Schwalbe ist. In anderen Fällen ("Mistbiene", "Stinkkäfer" etc.) ist Unwissenheit nicht auszuschließen ... und zugleich von jedem Vorwurf zu befreien: Der Zweck solcher Wortprägungen ist nicht die Dokumentation taxonomischer Analyse und Kenntnisse, sondern schlicht die Kommunikation mit anderen Menschen derselben Sprachgemeinschaft. Deshalb erwächst auch durch fortschreitende wissenschaftliche Erkenntnisse keine Notwendigkeit, solche Bezeichnungen zu ändern und durch Änderungen letztlich die Kommunikation zu gefährden.

Taxonomische Klassen und Binomina

Als die Naturphilosophen und Wissenschaftler der Antike und später des Mittelalters begannen, sich mit der Tier- und Pflanzenwelt zu befassen, war ihr primäres Ziel nicht die Kommunikation mit zeitgenössischen (und künftigen) Laien und Wissenschaftskollegen, sondern das Verstehen der Natur: die Anatomie und Unterscheidung der Arten, ihre Verwandtschaften, Lebenszyklen. Die dazu notwendigen Klassifikationen fanden nun nicht mehr spontan und intuitiv statt, sondern systematisch anhand einheitlicher Kriterien und mündeten in hierarchische Systeme, deren Ränge und Taxa (Arten, Gattungen, Familien etc.) nach Bezeichnungen verlangten. Die Bezeichnungen der Arten unterschieden sich deutlich von jenen der Volkssprachen: Zwar waren sie auf Latein verfaßt, also auch außerhalb der Landesgrenzen kleinen gebildeten Eliten verständlich, aber keine kurzen allgemeingültigen Artnamen, sondern lange individuelle Artbeschreibungen, welche jene Merkmale eines Organismus herausstellten, die der Beschreiber für wichtig erachtete.

Solange für eine Art mehrere solcher Beschreibungen existierten, waren diese der Kommunikation ebenso wenig förderlich wie Trivialnamen, die sich von Region zu Region ändern. Das änderte sich, als der schwedische Naturforscher und Arzt Carl von Linné die binäre Nomenklatur einführte: Für jede Art sollte fortan nur ein Binomen gelten, bestehend aus dem Gattungsnamen und dem eigentlichen Artnamen, dem Epitheton: Der Gattungsname (mit großem Anfangsbuchstaben, englisch: genus, französisch: genre) hat als solcher eine generische Funktion: Er definiert aufgrund äußerer Merkmale einen Oberbegriff zu (in der Regel) mehreren nahe verwandten Arten. Das Epitheton (englisch: specific name) dient der Unterscheidung dieser Arten, bei seiner Festlegung hat ein Erstbeschreiber freie Wahl: Er kann sich an spezifischen äußeren Merkmalen (Farbe, Körpermaße etc.) orientieren, aber auch (mit Kongruenz, d. h. entspr. grammatikalischen Anpassungen) Nahrungspräferenzen, Länder oder Personen nennen. Semantisch (semasiologisch) sind Epitheta zwar durchaus interessant, da sie das Motiv der Artbenennung durchblicken lassen und (etwa bei Farbnennungen) auch eine Gedächtnisstütze sein können; dennoch sind sie nicht wörtlich (in ihren ursprünglichen Bedeutungen) zu verstehen, sondern lexikalisiert: als neuer, fester Begriff (Rattus norvegicus, die Wanderratte, kommt nicht zwangsläufig aus Norwegen ...).

Die Lexikalisierung hat die wissenschaftlichen Artbezeichnungen (Binomina) allerdings nicht vor deren Schicksal bewahren können, immer wieder geändert zu werden. Der Grund liegt im Begriff der u. a. von Linné festgelegten Gattungen: Ein Jahrhundert vor Darwins bahnbrechender Evolutionstheorie orientierten sich Gattungen nur mittelbar an vermuteten Verwandtschaften, unmittelbar aber an sichtbaren, leicht nachvollziehbaren Merkmalen. Im 19. Jahrhundert aber etablierte und verstärkte sich dann ein Trend, Gattungsnamen nicht mehr als etablierte, Kommunikation garantierende Namen zu verstehen, sondern als provisorische Arten-Container, deren Gültigkeit nur bis zur nächsten "Revision" garantiert war. Immer mehr (und folglich immer kleinere) Gattungen wurden seither aufgestellt und ihre Arten zwischen ihnen hin- und herverschoben — mit Folgen für die Nomenklatur: Diese galt nur noch formal als unabhängig, wurde aber tatsächlich in den Dienst der Phylogenetik gestellt: Zusammen mit ihrer Stellung im System der Arten wechselten diese auch ihre Namen.

Die Entwicklung von den ersten laienhaften Art-Benennungen – quasi "für den Hausgebrauch" – bis zur "modernen" Molekulargenetik-basierten Systematik bzw. Kladistik und Nomenklatur läßt sich grob vielleicht so schematisch darstellen:

Phasen der  
Artbestimmung: 
phänotypisch,
laienhaft
oberflächlich
morphologisch,
wissenschaftlich
präzise
morphologisch,
typologisch,
systematisch
phylo- / molekular-
genetisch, systematisch
Bezeichnungs- 
Typ: 
sprachspezifische Trivialnamen wissenschaftliche Beschreibungen wissenschaftliche Binomina nach Linné wissenschaftliche Binomina
Eindeutigkeit  
(Monosemie)
nur innerhalb der Sprachregion Autor-, Werk-, evtl. Landes-spezifisch ja: überregional, allgemeinverbindlich bedingt: Methoden- &
Traditions-spezifisch

5. Nomenklatur: wissenschaftliches Namensverzeichnis

Eine Nomenklatur ist in der Biologie eine Sammlung wissenschaftlicher Bezeichnungen für (einen Teil der) Pflanzen-, Pilz- und Tierarten, also ein Wörterverzeichnung bzw. Lexikon. Ergänzt wird es allerdings jeweils durch ein Regelwerk – den International Code of Zoological Nomenclature (kurz ICZN), den International Code of Nomenclature for algae, fungi, and plants (kurz ICNafp) etc. – mit dem Ziel, die internationale Gültigkeit und Stabilität der Binomina (seit Linné zweiteiligen Artbezeichnungen) und Epitheta (= dem jeweils zweiten Teil, engl: specific name) und ihre einheitliche Wortbildung und Rechtschreibung etc. sicherzustellen. Mit der nomenklatorisch korrekten Bestimmung eines Artnamens wird allerdings keine taxonomische bzw. klassifikatorische Entscheidung gefällt – diese muß vorher gefallen sein.

Genau hier allerdings entsteht bisweilen ein Problem: Zu manchen Arten gibt es immer wieder neue Entscheidungen und für diese drei mögliche Ursachen:

  • Gelegentlich stößt ein aufmerksamer Biologe beim Studium älterer Literatur auf eine alternative Bezeichnung (Binomen bzw. nur das Epitheton) für ein und dieselbe Art. Wenn zwei Bezeichnungen um dieselbe Art konkurrieren, genießt die ältere Vorrang; die jüngere ist also gegebenenfalls durch die ältere und gültige zu ersetzen. So weit, so plausibel.
  • Weniger plausibel sind oft Streitfälle um den Art-Status: Repräsentieren zwei Populationen oder Individuen zwei Arten oder nur eine? Ein bekanntes und eher unrühmliches Beispiel sind zwei Sandbienen-Arten, die sich bislang molekulargenetisch nicht unterscheiden lassen: Andrena rosae, eine oligolektische, nämlich auf Doldenblütler (Apiaceae) spezialisierte Frühjahrsart, und Andrena stragulata, eine sehr ähnliche, aber polylektische (= Pollen-unspezialisierte) Art, die im Hochsommer fliegt. Wer solche Unterschiede nicht zur Kenntnis nehmen und den Artstatus bequem im Labor entscheiden will, fordert die Streichung von Andrena stragulata.
  • Die häufigsten Gründe, Anlässe oder Vorwände allerdings sind "Revisionen", die die Verwandtschaftsverhältnisse und Stellungen der Arten im System einer Organismengruppe (vermeintlich) aufklären bzw. "revidieren". Den Ausschlag dafür gibt in neuerer Zeit wiederum der taxonomische "Zauberschlüssel": das Barcoding; es löst immer öfter das menschliche Auge (und den menschlichen Verstand) als Entscheidungsinstanz ab und "fordert" als überlegene Technik auch gleich eine Neubenennung der untersuchten Arten. Deren Namen bezeichnen nun nicht mehr die Arten selbst, sondern deren aktuelle (temporäre) Stellungen im System, und werden so selbst "aktuell" (d. h. temporär bzw. dynamisch).
        Manche Taxonomen geben sich allerdings nicht damit zufrieden, die Stellung einer Art relativ zu anderen Arten im System zu markieren: Statt näher miteinander verwandte Arten innerhalb einer Gattung – mithin auch an derselben Stelle im Alphabet – als informelle "Gruppen" oder als Unterarten zusammenzufassen, heben sie diese auf die Rangstufe der Gattungen. Neu aufgestellte Gattungen aber "erfordern" neue Gattungsnamen, die etablierte Artbezeichnungen ändern und sich sogleich an unterschiedlichen Orten im Alphabet wiederfinden. Solche willkürlichen Manipulationen lassen sich logisch nicht mit der (vorgeblichen) Maßgeblichkeit der Phylogenie und Bacoding-Resultate begründen – hier werden neue Gattungen und neue Binomina zum Selbstzweck ... oder zum Zweck, die Eitelkeit eines Taxonomen zu befriedigen.

Aus Sicht des Lesers – eines Laien wie auch Experten – ist die alphabetische Präsentation von Arten in zoologischer Literatur meist die naheliegende und erwartete: Das Alphabet kennt jeder seit Kindheitstagen, den aktuellen phylogenetischen Forschungsstand zu einer Organismengruppe jedoch nicht. Erwarten sollte man allerdings, daß Autoren, die unter dem Vorwand der Phylogenie große Gattungen in viele kleine (und diese jeweils mit einem neuen Gattungsnamen) aufspalten, statt der alphabetischen Reihenfolge konsequent die phylogenetische wählen, immer gemäß dem aktuellen (verstanden als letzten) Stand der phylogenetischen Forschung. Nicht unerwartet liest man daher in einer Neuerscheinung:

Immerhin bestimmen die neuen Phylogramme, die auch die Verwandtschaft zwischen den systematischen Einheiten aufzeigen, die Reihenfolge der Familien in diesem Buch: Die Lestidae als älteste Kleinlibellenfamilie werden in der Abfolge im Gegensatz zu früher den Calopterygidae vorangestellt. [Wildermuth & Martens (2019): Die Libellen Europas]

Logische Konsequenz allerdings ist nicht selbstverständlich: Dieselben Autoren, die eng verwandte Untergattungen zu Gattungen "aufwerten", müßten eigentlich bestrebt sein, auch verwandte Gattungen zusammen zu präsentieren, was eine phylogenetische Abfolge nahelegt. In manchen Werken findet man solche Gattungen und Arten dennoch zerstreut über das Alphabet; die Autoren sehen darin offenbar keinen Widerspruch. Ein unschönes Beispiel bietet ein "Taschenlexikon", das verwandte Gattungen an fünf Stellen im Alphabet vorstellt:

Nomenklatur: Die ehemalige Gattung Anthidium wurde in jüngster Zeit in mehrere einenständige Gattungen aufgeteilt, von denen im Gebiet Anthidielleum, Anthidium, Icteranthidium, Pseudoanthidium, Rhodanthidium und Trachusa vorkommen. [Scheuchl & Willner]

Die passivische Formulierung (wurde [...] aufgeteilt) verzichtet vorsätzlich auf Informationen, die man in einem wissenschaftlichen Werk jedoch erwartet: Wer hat die "ehemalige" (?) Gattung aufgeteilt bzw. wie viele Personen waren daran beteiligt, welche Ursachen führten zur Aufteilung, warum haben sich die beiden Autoren der Aufspaltung angeschlossen etc.? Die Formulierung suggeriert vielmehr "kategorisch" eine absolute Wahrheit: Die "ehemalige" Großgattung Anthidium war gestern, heute gilt ihre Aufspaltung; andere Auffassungen darf es nicht geben, gibt es folglich nicht. Der Ausschluß von Widerspruch und Zweifel allerdings ist wissenschaftsethisch höchst problematisch bzw. schlicht unwissenschaftlich.

Wie selbstverständlich nomenklatorische Änderungen als zwangsläufige Folgen taxonomischer Erkenntnisse und "Revisionen" aufgefaßt (wenn nicht mit diesen gleichgesetzt) werden, zeigt die folgende Aussage auf einer Website zu Raubfliegen; biologische Binomina werden längst als "Namen auf Zeit" verstanden:

... sind bei der Gruppe der Fliegen [...] zukünftig mit zunehmenden systematischen und taxonomischen Erkenntnissen nomenklatorische Änderungen eher als Regelfall denn als Ausnahme zu betrachten. Dem gegenüber ist bei Trivialnamen oft eine hohe Stabilität über Jahrzehnte bzw. Jahrhunderte zu beobachten [...] [http://www.asilidae.de/index.htm]

Um die offenbar dynamische Funktion biologischer Binomina treffend zu beschreiben, könnte sich ein Blick in andere Fachgebiete lohnen. In der deutschen Wikipedia findet man unter dem Stichwort Laufzettel folgende Definition: "... ist in der Produktionswirtschaft ein Organisationsmittel der Produktionsplanung und -steuerung, in welchem der Bearbeitungsstatus eines Arbeitsobjektes während des Produktionsprozesses vermerkt wird." Ist ein Binomen ein temporär gültiges Etikett zur Kennzeichnung des aktuellen Bearbeitungsstatus?

Dem Trend, die Bezeichnungen der Taxa (Arten, Gattungen etc.) den "Erfordernissen" der Phylogenie unterzuordnen und dienstbar zu machen, wird dennoch widersprochen: Manch sprachbewußter Biologe begreift Artbezeichnungen durchaus in ihrer primären, nämlich kommunikativen Funktion. Artbezeichnungen als "Etiketten" wie im folgenden Zitat entsprechen zwar nicht dem üblichen linguistischen Sprachgebrauch, treffen aber durchaus die jedem Sprachwissenschaftler vertraute grundlegende Eigenschaft aller sprachlicher Zeichen: ihre Arbitrarität; die Beziehung zwischen einem bezeichnenden Wort und dem bezeichneten Objekt beruht auf (arbiträrer, d. h. willkürlicher) menschlicher Konvention, nicht auf naturgegebener Gesetzmäßigkeit.

Ein anderes Missverständnis bezieht sich auf das Ziel der Taxonomie, das von manchen (so Costello et al. 2013) lediglich als Benennung der Arten angesehen wird. Namen von Arten und anderen taxonomischen Einheiten sind indes nichts anderes als Etiketten, die es ermöglichen, Informationen zu transportieren (de Carvalho et al. 2008, 2014). Diese reine Benennung ist aber Aufgabe der Nomenklatur, einem technischen Regelwerk. [Löbl et al.]

Daß einmal lexikalisierte und etablierte Bezeichnungen keiner sprachlichen "Revision" bedürfen, können zwei Beispiele aus anderen Naturwissenschaften zeigen:

  • Der Sauerstoff (Symbol: 0) wurde anfangs als Grundbestandteil für die Bildung von Säuren aufgefaßt und deshalb Oxygenium ('Schärfe-, Säurebildner') genannt. Als man später erkannte, daß für Säure in Wirklichkeit der Wasserstoff ursächlich ist, behielt man selbstverständlich die etablierte Bezeichnung Oxygen(ium) bei.
  • Die Bezeichnung Atom für die kleinste Einheit jedes Elements scheint ein Wort des Atom-Zeitalters zu sein. Tatsächlich wurde dieses Wort schon im 5. Jahrhundert v. Chr. aufgrund (damals noch) spekulativer philosophischer Überlegungen geprägt: Das altgriechische ατομος / átomos bedeutet 'unteilbar'. Als man endlich im 20. Jahrhundert erkannte, daß Atome tatsächlich nicht unteilbar, sondern aus noch kleineren Teilchen aufgebaut sind, sah man keinen Anlaß, die "falsche" altgriechische Bezeichnung zu ändern.

6. Nomenklatur: Normierung & Nachahmung

In den knapp acht Jahren seit [...] der letzten Checkliste [...] haben sich eine Vielzahl von Veränderungen ergeben, [...] auch durch nomenklatorische Änderungen. [Anthophila 1/2023]

Solche Äußerungen sind, wie gesehen, nicht selten. Änderungen "ergeben sich", wie es scheint – und Experten wie Laien offenbar in ihr Schicksal. Tatsächlich aber geschehen taxonomische wie nomenklatorische Änderungen weder beiläufig noch zwangsläufig, sie werden vielmehr von bestimmten Menschen mit bestimmter Absicht herbeigeführt. Interessant sind die Fragen warum, wie und von wem. Schaut man sich die Forschungsgeschichte zu einer rezenten oder ausgestorbenen Tiergruppe – etwa zu den "Terrorvögeln" (Phorusrhacidae) – an, sieht man sich mit einer Vielzahl unterschiedlicher Interpretationen, Systematiken und Bezeichnungen für die verschiedenen Taxa konfrontiert – und mit Animositäten, Eitelkeiten, Neid, Konkurrenz etc. Es "menschelt" auch in der Wissenschaft.

Nicht alle offenen Fragen können sofort oder endgültig geklärt werden, zu komplex, kompliziert, "trocken" oder wenig relevant mag das eine oder andere Problem erscheinen. Die Frage etwa, ob ein bestimmtes Taxon besser der einen oder anderen Rangstufe (Untergattung oder Gattung etc.) zugeordnet werden sollte, wird von vielen Biologen nicht als vorrangig und eine Bearbeitung nicht als lohnend empfunden: Irgend jemand wird's schon irgendwann machen, wenn er's für wichtig erachtet. Wer sich die Mühe dann macht, wer eine "Revision" einer Artengruppe veröffentlicht, hat Aussicht, schnell als die Autorität zu dieser Artengruppe zu gelten. Hat er aber Konkurrenz, entscheidet sein Prestige, das er sich zuvor erarbeitet hat, und das kann auch davon abhängen, ob er dem "richtigen" Trend folgt oder einem individuellen oder nationalen Sonderweg folgt. Welche Auffassungen sich auf dem Gebiet der Taxonomie schließlich durchsetzen, hängt vor allem von denen ab, die sich keine eigene Auffassung erarbeiten und leisten können oder wollen, sondern einem vermeintlichen Trend folgen.

Solche follower, wie sie im modernen Denglish genannt werden, kann man auch als "Mitläufer" bezeichnen (mit einem zunächst wertungsneutralen Wort, das allerdings meist negativ konnotiert und sogar durch die Entnazifizierung der Nachkriegsjahre belastet ist). Besser ist wohl die Bezeichnung Konformist; Konformismus rührt von dem Wunsch, sich einer Gruppe anzupassen, um sich (gefühlte) Zugehörigkeit zu ihr zu sichern. In der angelsächsischen Literatur gibt es in diesem Zusammenhang zwei weitere Begriffe: Der bandwagon effect bezeichnet das Phänomen, daß Menschen ungeachtet grundsätzlicher Überzeugungen und Verhaltensweisen gewissen Vorstellungen, Moden und Trends umso mehr folgen ("auf den Zug aufspringen"), je mehr andere dies zuvor getan haben. Der looking glass effect formt das Selbstbild eines Menschen abhängig von seiner Vorstellung, wie andere ihn wahrnehmen, was die "andere Person im Spiegel" von ihm hält und erwartet.

Menschen, erst recht Wissenschaftler, geben allerdings ungern zu, einfach unreflektiert einer Mode zu folgen, nur um dazu zu gehören; noch weniger behagt ihnen die Vorstellung, als Abweichler, Außenseiter, Sonderling wahrgenommen zu werden – viel attraktiver ist die Vorstellung, anderen als autonome, starke, der Wahrheit verpflichtete Persönlichkeit zu gelten. Manchmal aber bekennt sich ein Mensch freimütig zu seinen Motiven: Als der Autor einen Biologen um Auskunft bat, warum er die linguistisch eindeutig falsche Wortform eines Binomens übernommen habe, erhielt er unerwartet diese (gekürzte & anonymisierte) Antwort, die einer aktuellen "Checkliste" (was ist das?) sogar einen "offiziellen" Status zubilligt:

Das heißt, dass ich mich nach der jeweils aktuellsten und zur Zeit gültigen Checkliste richte – unabhängig davon, ob der Name nun linguistisch korrekt ist oder nicht [...]. So eine Checkliste stellt, unabhängig von rein nomenklatorischen Fragen, tatsächlich einen enormen Fortschritt dar: der Verweis darauf [...] stellt eindeutig klar, welche taxonomischen Auffassungen den präsentierten Daten zugrunde liegen. Und aus rein beruflicher Sicht: ich würde bei der Abgabe eines Gutachtens nur Kopfschütteln ernten, wenn ich sozusagen "eigenmächtig" andere Namen verwende, als die offiziell gültigen.

Tatsächlich reicht "aus rein beruflicher Sicht" als "Verweis" ein kurzer Satz, wie man ihn in professionellen Gutachten findet: "Die Systematik und Nomenklatur richten sich nach DATHE et al. (2001)." oder "Hinsichtlich der Systematik und Nomenklatur folgen wir WESTRICH (2018)."

7. "Trivialnomenklatur"

Die Akteure der wissenschaftliche Nomenklatur sind, wie gesehen, vorrangig bestrebt, mit einem Artnamen weniger die Art selbst als vielmehr ihre (aktuell vermutete) Stellung im System zu bezeichnen. Einige dieser Taxonomen haben ein Hobby: Sie haben entdeckt, daß nur die wenigsten Arten dem Naturfreund geläufige umgangssprachliche Bezeichnungen haben, und möchten diese vermeintliche Lücke füllen, bevor ihnen jemand zuvorkommt. Daß solche "Trivialnamen" aus gutem Grund nicht existieren, weil sie nämlich weder unter Laien noch Experten einem echten Bedürfnis entsprechen, interessiert jene Taxonomen nicht, denn sie haben ein spezielles Anliegen: Zusammen mit den Trivialnamen (die in keiner Bedeutung des Wortes tatsächlich trivial sind) möchten sie auch die Art der Wortfindung bestimmen, konkret: welche Merkmale einer Tierart in deren Trivialnamen ihren Ausdruck finden. Eines dieser Merkmale ist ... die Phylogenie, die dem an ihr uninteressierten Laien nahegebracht werden soll.

Bemerkenswerte Beispiele hierfür finden sich im "Taschenlexikon" von Scheuchl & Willner () zur großen Gattung Andrena ("Sandbienen"): Die Untergattung Melandrena etwa wird als "Düstersandbienen" bezeichnet, Simandrena als "Körbchensandbienen", die Untergattung Andrena s. str. (= im engeren, strikten Sinne) als "Lockensandbienen"; folglich heißt Andrena nitida bzw. Andrena (Melandrena) nitida dort "Glänzende Düstersandbiene" (was sich anhört wie ein Widerspruch in sich selbst), Andrena dorsata bzw. Andrena (Simandrena) dorsata ist die "Rotbeinige Körbchensandbiene", Andrena helvola bzw. Andrena (Andrena) helvola ist die "Schlehen-Lockensandbiene". Wer sich bei der Lektüre solcher (einmal wohlwollend formuliert:) Exzentrik eines Lachanfalls noch erwehren kann, wird sich ein Lächeln wohl nicht verkneifen können.

8. Etwas Literatur zum Thema

  • Hennig, Willi (1969): Die Stammesgeschichte der Insekten. Waldemar Kramer, Frankfurt am Main.
  • Kunz, Werner (2012): Do Species Exist? Principles of Taxonomic Classification. Wiley-Blackwell, Hoboken (New Jersey, USA). (ISBN: 978-3-527-33207-6)
  • Kunz, Werner (2018): "Die Kunst, Organismen in Arten einzuteilen – Wohin steuert die Taxonomie?" in: Biologie in unserer Zeit, 3/2018 (48). Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim. (DOI:10.1002/biuz.201810647)
  • Löbl, Ivan & Bernhard Klausnitzer & Matthias Hartmann (2022/3): "Das stille Aussterben von Arten und Taxonomen — ein Appell an Wissenschaftspolitik und Legislative" in: Entomologische Nachrichten und Berichte, 66, 2022/3. 217–226.
  • Martin, Hans-Jürgen (2020): "»Deutsche« Tier- und Pflanzennamen" in: Eucera 14, 2020 (ISSN 1866-1521; PDF: »Deutsche« Tier- und Pflanzennamen").
  • Martin, Hans-Jürgen (2024): "Das Genus der Bienen-Genera Coelioxys und Dioxys". PDF: Das Genus der Bienen-Genera Coelioxys und Dioxys
  • Mayr, Ernst (2002): Die Entwicklung der biologischen Gedankenwelt – Vielfalt, Evolution und Vererbung. Springer Verlag, Berlin/Heidelberg.
  • Ohl, Michael (2015): Die Kunst der Bennnung. Matthes & Seitz, Berlin.
  • Scheuchl, Erwin & Wolfgang Willner (2016): Taschenlexikon der Wildbienen Mitteleuropas · Alle Arten im Porträt. Quelle & Meyer, Wiebelsheim.

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Kladogramm
Kladogramm der Säugetiere mit seinen drei Unterklassen:
  1. Protheria, eierlegende Ursäuger mit nur zwei Familien der Kloakentiere (Monotremata): Ameisenigel (Tachyglossidae) und Schnabeltier (Ornithorhynchidae);
  2. Metatheria, Beutelsäuger (auch: Marsupialia) mit etlichen Ordnungen: Beutelratten, Känguruhs, Wombats, Koalas etc.
  3. Eutheria, "Höhere Säugetiere" mit vielen Ordnungen: Wale, Unpaarhufer, Paarhufer, Rüsseltiere, Nagetiere, Hörnchen, Fledertiere, Insektenfresser, Raubtiere ... und Primaten.