Libellen (Odonata): Fortpflanzung

Libellen pflanzen sich auf ungewöhnliche Weise fort, was auch vielen Laien bekannt ist: Ein "Paarungsrad" haben viele Menschen schon einmal in der Natur gesehen. Warum aber bilden Männchen und Weibchen bei der Kopula ein – oft herzförmiges – Paarungsrad? Der Grund ist in der ungewöhnlichen Anatomie der Männchen zu finden:

Die Geschlechts- und Begattungsorgane der Libellen-Männchen befinden sich an zwei weit voneinander getrennten Stellen: An der Bauchseite des vorletzten, also neunten Hinterleibssegmentes münden, wie man es von Insekten kennt und deshalb erwartet, die Ausführungsgänge der Keimdrüsen (Gonaden). Das eigentliche Begattungsorgan jedoch ist eine Höhlung im zweiten (!) Hinterleibssegment (meist ausgestattet mit einer "Klammervorrichtung") und eine Samenblase im dritten Hinterleibssegment, die bei Großlibellen in ein Begattungsorgan mit einer löffelförmigen Spitze mündet. Die Geschlechtsöffnungen der Weibchen befinden sich nur am Abdomen-Ende, ebenfalls am neunten Segment. Die Paarung scheint zunächst als einseitig männliche Aktivität abzulaufen:

  • Ein Männchen packt ein scheinbar passives Weibchen mit seinen Hinterleibsanhängen (Cerci) im Nacken und "schleppt es ab"; es bildet ein "Tandem".
  • Vor der Begattung – manchmal noch vor der Kopula – krümmt nun das Männchen den hinteren Teil seines Abdomens nach vorn und füllt seine weit vorn im dritten Segment befindliche Samenblase sehr zügig mit Spermien. (Der Kopf des Weibchens ist dabei kein Hindernis.)
  • Das Nachlassen der Krümmung (das Öffnen dieses Rings) ist für das Weibchen das Signal, nun seinerseits sein gesamtes Abdomen unter sich nach vorn zu biegen, um mit seiner Geschlechtsöffnung das Begattungsorgan des Männchens zu erreichen und so das Paarungsrad zu schließen.
  • Die erwähnte "Klammervorrichtung" des Männchens krallt sich in die Geschlechtsöffnung des Weibchens, und der löffelförmige "Penis" entfernt eventuelle Reste von Spermien vorangegangener Paarungen aus dem Weibchen, bevor es erneut besamt wird.
  • Das Paarungsrad kann eine halbe Minute, aber auch etliche Stunden bestehenbleiben.
  • Die Eiablage in einem Gewässer erfolgt entweder nach Auflösung des Paarungsrades oder noch während des Tandems: Im letzteren Fall stellt das Männchen sicher, daß wirklich seine eigenen Spermien zum Zuge kommen, nicht die eines späteren Konkurrenten. Heidelibellen-Männchen unterstützen die Eiablage sogar, indem sie das an ihnen hängende Weibchen im Flug rhythmisch nach vorn schleudern, wenn dieses seine Eier ins Wasser wirft.
  • Die Eier der meisten Arten überwintern im Wasser oder Ufersubstrat – im Falle der Weidenjungfer (Chalcolestes viridis) in Weiden-Zweigen. Im Frühjahr schlüpfen aus ihnen die noch eingehüllten, bewegungsunfähigen Prolarven, aus denen sich das erste Larvenstadium befreit. Die räuberischen Larven häuten sich im Laufe oft mehrerer Jahre bis zum Erreichen ihrer maximalen Größe und zum Schlupf (Emergenz) ca. 12mal.
  • Wenn die Larve am Ende ihrer aquatischen Phase aus dem Wasser kriecht und sich an z. B. einem Stengel festkrallt, verpuppt sie sich nicht: Anders als Schmetterlinge, Käfer und andere holometabole Insekten befreit sich die Libellen-Imago (= flugfähige Libelle) schon nach kurzer Zeit mit ihrer letzten, der Imaginalhäutung, aus der Larvenhülle. Libellen sind also hemimetabole Insekten. Der falsche Eindruck einer "vollständigen", holometabolen Entwicklung kann durch einen Vergleich der beiden Entwicklungsstadien vor und nach der Emergenz entstehen: Libellenlarven ähneln der späteren Imago weniger als etwa Heuschrecken-Nymphen und leben zudem in unterschiedlichen Elementen (Wasser vs. Luftraum). Das "Paket" auf dem Rücken einer Libellenlarve zeigt aber an, daß die vier Flügel bereits angelegt sind.
  • Die Emergenz einer Kleinlibelle dauert etwa eine Stunde, einer Großlibelle meist mindestens anderthalb. Wenn schließlich zuerst die (zunächst zusammengeklappten) Flügel und dann auch noch der Chitin-Panzer ausgehärtet sind, klappt die Libelle ihre Flügel erstmals auseinander und begibt sich auf ihrem Jungfernflug an einen geschützten, unauffälligen Ort. Großlibellen werden ihre Flügel fortan nie mehr zusammenklappen – sie können es gar nicht.
Ischnura elegans
Große Pechlibelle (Ischnura elegans), Paarungsrad · Solingen, Botanischer Garten, 14.06.2015

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